06 Nov Südafrikanische Parlamentswahlen 2024 – Wohin geht die Reise Südafrikas junger Demokratie?
Im Mai 2024 standen in Südafrika wieder die Wahlen für das Nationale Parlament an. Gerade in diesem Jahr war es eine besonders spannende Wahl, da der African National Congress (ANC) zum ersten Mal seit der Demokratisierung des Landes in 1994 nicht die absolute Mehrheit erhielt.
Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen für die Stabilisierung Südafrikas junger Demokratie?
Beim ANC handelt es sich um die größte südafrikanische Widerstandspartei, die maßgeblich an der Beendigung der Apartheid beteiligt war. Die Partei war zunächst mit Nelson Mandela als Präsident sehr beliebt im Land, da sie für eine demokratische Zukunft und Freiheit für alle einstand. Seit einigen Jahren jedoch gibt es viel Kritik an der Politik des ANC, da die Mehrheit derjenigen, die während der Apartheid durch die Rassegesetze strukturell benachteiligt wurden, noch immer in Armut leben. Es gab eine Reihe von Korruptionsskandalen und viele Menschen drücken ihren Unmut in Protesten aus. Es gründen sich immer mehr kleinere Protestparteien, die mit dem ANC um Stimmen konkurrieren.
Bei den Wahlen im vergangenen Mai erhält der ANC nur 40,18% der Stimmen (2019 waren es noch 57%) und muss daher zum ersten Mal eine Koalition eingehen, um die absolute Mehrheit im Parlament zu erreichen.
Die zweitgrößte Partei kommt bei der Wahl auf 21,81%. Dabei handelt es sich um die Democratic Alliance, kurz DA. Diese Partei ist keine Neugründung, sondern besteht bereits seit 2000, um dem ANC eine starke Opposition zu bieten. Die Wurzeln dieser Partei gehen auf die Progressive Party zurück, die bereits 1959 gegründet wurde – damals als Opposition gegen die Apartheid Politik der National Party.
An dritter und vierter Stelle kommen zwei eher neu gegründete Parteien: uMkhonto weSizwe (MK) mit 14,58% und die Economic Freedom Fighters (EFF) mit 9,52%. Diese Parteien entstanden beide aus dem ANC und entschieden sich bewusst für eine andere Politik. Dementsprechend wählen auch viele ehemalige ANC Wähler eine dieser beiden Parteien. Während die EFF bereits seit 2013 Bestand hat, wurde die MK erst ein halbes Jahr vor der Wahl im Mai gegründet und bildet sich um den ehemaligen Präsidenten Jakob Zuma, der wegen Korruption angeklagt wurde und aktuell sogar einer Haftstrafe unterliegt. Er wendet sich vor allem gegen den ANC und ist dabei bei seiner ethnischen Gruppe den Zulus scheinbar sehr erfolgreich. Die Partei hat bereits vor der Wahl ein Manifest veröffentlicht, in dem sie sich für die Nationalisierung von Banken, Minen und anderen Institutionen ausspricht und auf das Geburtsrecht der Südafrikaner an ihrem eigenen Land verweist. Die Economic Freedom Fighters sprechen von ähnlichen Zielen und verfolgen die wirtschaftliche Freiheit für alle Südafrikaner und vertritt damit eher wirtschaftspolitisch linksradikale Ansichten. Die Partei fokussiert sich vorrangig auf die Umverteilung von Land und anderen Ressourcen und spricht damit eher die unteren Schichten der Gesellschaft an. Die Partei bildet sich um Julius Malema, den ehemaligen Anführer der Jugendorganisation des ANC. Malema gibt den Anhängern des EFF Hoffnung auf Veränderungen, jedoch ist fraglich inwiefern die Versprechen der Partei handfeste Zukunftsvorstellungen sind oder nur populistische Versprechen. Bei beiden Parteien ist noch nicht einschätzbar, in welche Richtung sich ihre Politik verändert.
Nach den Wahlen entschied sich der ANC eine Koalition mit der DA einzugehen. Lange war die DA die größte Oppositionspartei für den ANC auf nationaler Ebene. Regiert hat die DA bisher nur auf Provinzebene (zum Beispiel das Western Cape) sowie auf Metropol Ebene – zum Beispiel stellt die DA auch den derzeitigen Bürgermeister von Kapstadt Geording Hill-Lewis, und Kapstadt das Western Cape gilt als Südafrikas am besten verwaltete Stadt/Provinz Südafrikas. Die Koalitionsgespräche nach der Wahl im Mai waren eher langwierig. Die beiden Parteien konnten sich jedoch einigen und die DA erhielt sechs Ministerien, darunter die Ministerien für Inneres, Umwelt, Bildung und Landwirtschaft.
Welche Themen waren für die Wähler*innen besonders relevant?
Der Sektor, der in den letzten Jahren am meisten gelitten hat und das Leben der meisten Südafrikaner am meisten einschränkt, ist der Energiesektor. Da zu wenig Energie für das ganze Land produziert wird, muss der Stromverbrau limitiert werden – hierfür wurde ein Stromsparprogramm, das sogenannte „Loadshedding“ eingeführt. Es handelt sich um das geplante Ausschalten von Strom in bestimmten Gebieten für limitierte Zeitperioden. Bei einer Umfrage des Afrobarometers landet die Energieknappheit auf Platz 3 der größten Probleme der jungen Leute, gleich hinter den Themen Arbeitslosigkeit und Sicherheit. Das Loadshedding stoppte Ende März 2024 und zunächst nahmen die meisten an, dass die Regierungspartei sich vor den anstehenden Wahlen in ein gutes Licht bringen wollte. Aber auch nach den Wahlen läuft der Strom bisher anders als erwartet ununterbrochen weiter. Eine Erleichterung für alle – nicht nur im alltäglichen Leben, sondern auch für den Arbeitsmarkt – denn Loadshedding hat in den letzten Jahren zu dem Verlust von vielen Arbeitsplätzen beigetragen; in 2022 verloren laut Energie Minister Ramokgopa fast 650 000 Menschen ihren Job aufgrund von Loadshedding.
Das zweite große Wahl Thema ist die Arbeitslosigkeit sowie fehlender Erfolg bei der Armutsbekämpfung: Entsprechend einer Studie von Statista bezeichneten 67% der südafrikanischen Bevölkerung Arbeitslosigkeit als ihr persönliches größtes Problem. Dabei handelt es sich nicht nur um die ärmsten und oft unausgebildeten Menschen. Auch viele gut ausgebildete junge Leute warten lange auf einen Job und fühlen sich von der Regierung nicht beachtet, denn es wurden in den letzten 10 Jahre kaum neue Arbeitsplätze geschaffen, im Gegenteil, viele Unternehmen haben die Corona Pandemie nicht überstanden und viele Jobs sind in dieser Zeit verloren gegangen.
Besonders die junge Altersgruppe zwischen 18 und 35 Jahren hat oft keinen Bezug zu einer bestimmten Partei im Gegensatz zu älteren Generationen, die dem ANC weiterhin zugewandt sind. Um ihrer Unzufriedenheit gegenüber der Regierung Ausdruck zu verleihen, gehen vor allem junge Leute in den große Metropolen immer öfter auf die Straßen und demonstrieren gegen die wachsende Arbeitslosigkeit und das Verfehlen der Regierung, Armut effektiv zu bekämpfe und die Lebensbedingungen in den Townships zu verbessern – also Zugang zu Unterkunft, Bildung, Gesundheitsversorgung etc.. Gerade die größeren Städte wie Durban, Johannesburg oder Pretoria sind davon betroffen.
Die junge Generation ist für neue Parteien und Bewegungen offen, denn sie haben Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Das dritte relevante Thema ist Sicherheit und Sozialer Frieden. Grundsätzlich sind Kriminalität- und Gewaltraten (insbesondere gegen Frauen und Kinder) unakzeptabel hoch – und das schon seit Jahrzehnten. Verantwortlich hierfür sind vor allem die hohe Arbeitslosigkeit und damit verbundene Armut, Drogen-und Alkoholmissbrauch sowie Bandenkriminalität, die ihre Wurzeln noch in der Apartheid hat. Aber auch der Anteil von Protestbewegungen, die sich zu radikalisieren scheinen und gerade in städtischen Regionen oft eskalieren, sind Grund zur Sorge. Die Radikalisierung kann einerseits mit wachsender Frustration weiter Teile der Bevölkerung erklärt werden, dass auch 30 Jahre nach Ende der Apartheid die ökonomischen Lebensumstände sich für viele nicht verbessert haben. Andererseits ist es erwiesen, dass gerade die großen gewaltsamen Proteste wie in Tshwane und KwaZulu Natal in 2021 politisch orchestriert waren, d.h. sie waren gezielt geplant und sollten die ANC Regierung destabilisieren.
Die Wahlen bzw. das Wahlergebnis sind aus unserer Sicht zunächst einmal ein gutes Zeichen für die Demokratisierung Südafrikas, insbesondere die Art und Weise, wie der ANC mit dem Wahlverlust in den Koalitionsverhandlungen umgegangen ist. Die Koalitionsverhandlungen dauerten 2 Wochen mit dem Ergebnis, dass der ANC zusammen mit der DA, der IFP (Inkatha Freedom Party) sowie weiteren kleinen Parteien zusammen die Regierung stellt. Cyril Ramaphosa wurde als Präsident bestätigt.
Das Wahlergebnis fordert nun ein Umdenken und eine Neuorientierung insbesondere der etablierten Parteien: der ANC hat die absolute Mehrheit verloren, d.h. der ANC muss nun sein politisches Handeln mit anderen Parteien abstimmen und Kompromisse schließen. Auch steht er jetzt unter größerem Druck, seine Wahlversprechen einzulösen und zum Beispiel lang anstehende Reformen anzugehen und Korruption auszurotten.
Die DA muss sich nun als Regierungspartei neu definieren – bisher konnte sie alle zentralen politischen Themen auf der nationalen Ebene immer bequem von außen kritisieren, war aber nicht für die Implementierung zuständig. Die DA wird nun immer wichtiger für den ANC, um Beschlüsse durchzusetzen und es bleibt abzuwarten, wie dies n der Realität aussehen wird.
Südafrika ist nach wie vor eine der stabilsten Demokratien in Afrika und die Bevölkerung zeigt immer wieder Zeichen von einer lebendigen Demokratie. Viele Menschen sind politisch aktiv, indem sie öffentlich ihre Meinungen kundtun, gegen die Regierung protestieren und sich auch in anderen Netzwerken und Foren austauschen. Die Wahlen zeigen auch, dass die Südafrikaner offen sind für etwas Neues und die Hoffnung in die Demokratie nicht verlieren. 65% der Südafrikaner halten demokratische Wahlen für den besten Weg ihren Leader zu wählen.
Die Demokratisierung in Südafrika wird weiter verstärkt. Das Ergebnis der Wahlen zeigt die Abgrenzung der Wähler zur aktuellen Politik des Landes, aber auch das ist Teil von Demokratisierung. Der Demokratisierungsprozess ist langwierig – das legen auch Entwicklungen in anderen Ländern, unter anderem auch in Deutschland nahe. Die Demokratie Südafrikas ist mit seinen 30 Jahren auch äußerst jung. Demokratie muss gelernt werden, nicht von den Politikern, sondern genauso von den Menschen, die in ihr leben. Für die Mehrheit der südafrikanischen Bevölkerung ist nach mehr als 350 Jahren Kolonialzeit und Apartheid die Demokratie ein völlig neues Konzept. Demokratie muss gelernt werden und das passiert nicht über Nacht.
Die aktuelle Regierungskoalition zeigt, dass Kompromisse möglich sind und ein wichtiger Schritt einer funktionierenden Demokratie sind. Es bleibt abzuwarten, was alle Parteien daraus machen.
Über die Autorin dieses Gastbeitrags:
Lara Jörgens ist Studentin im Master an der Goethe Universität in Frankfurt. In ihrer Masterarbeit mit dem Titel „The Economic Freedom Fighters: A Prime Example of African Populism?” beschäftigt sie sich mit der Frage, inwiefern sich die Economic Freedom Fighters von anderen vorangegangenen populistischen Bewegungen in Afrika unterscheidet und warum Populismus in Afrika anders eingestuft wird als in der westlichen Welt.
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